Transformation erlebbar machen
Nina Guyot ist Architektin und seit Januar 2023 bei Rapp in einem Teilzeitpensum angestellt. Sie beschäftigt sich in ihrer täglichen Arbeit unter anderem in der Areal- und Stadtplanung mit der Frage, wie wir als Gesellschaft in Zukunft leben wollen und was die Architektur dazu beitragen kann. Nun hat sie eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die sich mit der Transformation eines 140 Hektar grossen Areals in Genf auseinandersetzt.
Endlich – am 25. August sind die Türen zur Ausstellung «PAV living room» geöffnet worden! Wie ist deine Gemütslage?
Die könnte nicht besser sein. Es war ein sehr aufregender Moment für mich und meine Ko-Kuratorin Blerta Axhija. Ich bin superglücklich und erleichtert zugleich. Zur Vernissage kamen viele Gäste, die Stimmung am Abend war ausgelassen. Nun hoffe ich, dass wir den Schwung bis am 7. Dezember 2023 mitnehmen können.
Es ist deine erste Ausstellung, die du kuratiert hast. Ein Sprung ins kalte Wasser?
Allerdings! Ein sehr grosser Sprung. Zum Glück konnte ich das Projekt gemeinsam mit Blerta stemmen. Von der Idee bis zur Finanzierung. Alles muss stimmen, und so verging mehr als ein Jahr, bis wir nun die Ausstellung eröffnen konnten.
Wie kam es dazu?
Blerta und ich durften vor einem Jahr an einem dreimonatigen Residenzprogramm teilnehmen, an dem Künstler:innen und Architekt:innen zusammenkamen, um sich mit der Transformation des Areals Praille-Acacias-Vernets (PAV) auseinanderzusetzen. Das PAV ist ein rund 140 Hektar grosses Areal in Genf. Heute wird es vor allem für industrielle Zwecke genutzt. Wir haben unsere Erkenntnisse aus den Recherchearbeiten in einem Booklet geordnet und zusammengefasst. Weil es eine lange Übergangszeit ist, entwickelte sich nach und nach die Idee, dass es über unsere Arbeit hinaus einen öffentlichen Diskurs braucht, um so zum einen das Areal und zum anderen die Umnutzung der Genfer Bevölkerung näherzubringen.
Ein Ziel der Ausstellung ist, dass die Transformation des Areals für die Bevölkerung wahrnehmbar wird. Wie setzt ihr das in der Ausstellung um?
Die Ausstellung widmet sich der Zeit der Transformation des Ortes und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Sie soll einen vielfältigen Einblick geben, einen partizipativen Charakter haben und einen integrativen Blick auf das Areal geben. Dabei setzen wir auf eine Kombination von Theorie und Praxis. Einerseits fördern wir eine Annäherung und ein Verständnis des Ortes über die Sinne, das heisst, über die Erfahrungen, die man mit einem Ort macht, indem wir Performances and verschiedenen Orten im Industriegebiet veranstalten. Andererseits organisieren wir neben den Performances vor Ort auch Vorträge und eine Diskussionsreihe, um die theoretischen Themen gemeinsam mit den Besucher:innen zu vertiefen. Die Ausstellung fördert somit einen vielfältigen Blick, der jedem Einzelnen eigen ist.
Nina Guyot (28) hat einen Master in Architektur (ETH) und einen Bachelor (EPFL). Sie hat einen vielfältigen Zugang zur Architektur. Für ihr Diplom führte sie eine Forschung über die Beziehungen zwischen Wohnen, Land und Eigentum durch. Nachdem sie bei Praktika in Genf, Tokio und Porto Erfahrungen gesammelt hat, arbeitete sie in der Architekturabteilung der ETH. Das führte dazu, sich noch mehr in Richtung Forschung zu engagieren.
Sie arbeitete anschliessen in der Forschungsabteilung von Herzog & De Meuron. Da sie während dieser ersten Arbeitserfahrung auch mit städtischen Projekten in Berührung kam, schloss sie sich dem Rapp-Team an, um sich auf Fragen der territorialen Transformation zu konzentrieren. Parallel zu ihrer Teilzeitarbeit bei der Rapp AG schreibt sie für Architekturzeitschriften, ist Co-Kuratorin des Projekts «PAV living room» und hat das Architekturkollektiv «vendredi» mitgegründet.
Infos zur Ausstellung: PAV living room
Wie muss ich mir das vorstellen?
Durch den langsamen Wandel des Gebiets bietet sich die Gelegenheit, Orte zu schaffen, an denen neue Räume des Möglichen erprobt werden können. Wir haben dazu Künstler:innen und Architekt:innen eingeladen, sich an unserer Recherche und der Ausstellung zu beteiligen. Parallel zur Ausstellung organisieren wir eine Reihe von Veranstaltungen - Performances, Installationen, Vorträge -, bei denen unsere Gäste die Potenziale des Industriegebiets erforschen und greifbar machen. Ziel ist es, Diskussionen und Debatten anzuregen. Zudem sollen auch die Werkzeuge zeitgenössischer städtebaulicher Entwürfe kritisch hinterfragt werden.
Was meinst du damit?
In Anbetracht der langen Übergangszeit von rund 50 Jahren müssten die bestehen Planungsgrundlagen eigentlich zeitnah auf wirtschaftliche und ökologische Veränderungen und Anforderungen reagieren können. Für uns ist es interessant zu erfahren, ob ein flexibles Planungs- und Steuerungselement als Grundlage dienen könnte, damit Entwicklungspotenziale im Laufe der Zeit sich verändern und neu definiert werden können.
Und wie bringt ihr all diese Arbeiten, Debatten und Diskussionen zusammen?
Das kollektive Verständnis bilden wir in Form einer Installation nach. Zu Beginn stellen wir die Umrisse des zu-künftigen Stadtteils und einige bestehende Gebäude aus, die den physischen und in den Debatten existierenden Zustand repräsentieren. So werden die Umrisse des künftigen Viertels und von bestehenden Gebäuden in der Zeit der Zwischennutzung dokumentiert. Die Installation wird dann ständig verändert und mit neuen Elementen wie Texte, Fotos und Objekte ergänzt. Die Installation konfrontiert sich, quasi als imaginärer Dialog, mit dem bestehenden kantonalen 1:10000-Modell des zukünftigen Areals, das gegenüber im gleichen Raum steht. Gleichzeitig können die Besucher:innen den zukünftig geplanten Zustand und die Potenziale, die auch die Gegenwart und die Übergangszeit bieten, sehen.
PAV ist das Akronym für das das Areal Praille Acacias Vernets. Und für was steht living room?
Damit bringen wir den Kern der Ausstellung zum Ausdruck. Die Ausstellung ist nicht nur für ein Fachpublikum konzipiert, sondern die Transformation des Areals soll der Bevölkerung nähergebracht werden, indem wir über das Potenzial des Übergangs eines Stückes Land nachdenken. Wir wollen ein Verständnis dafür schaffen, wie wir hier in Zukunft leben könnten. Wie wir uns betten, so liegen wir – im übertragenen Sinn schaffen wir mit der Ausstellung eine Wohnstube – ein living room eben.
Was erhoffst du dir am 7. Dezember, wenn die Finissage ansteht?
Wie die Resonanz auf die Ausstellung sein wird, kann ich nicht vorwegnehmen. Ich wünsche mir gute und kritische Diskussionen. Am Ende erwarte ich nicht unbedingt eine Antwort, wie wir künftig Areale und Städte entwickeln, sondern, dass die Ideen und Anregungen in irgendeiner Form weitergegeben werden. Nur so finden neue Ansätze den Weg in künftige Überlegungen der Areal- und Stadtplanung.
Was nimmst du mit in deinen Berufsalltag?
Gute Frage. Bei einer Arealentwicklungen geht es mir darum, wie wir in einer Stadt leben und wie wir den öffentlichen Raum gestalten wollen. Ich will verstehen, wie wir uns als Gesellschaft organisieren und zusammenleben. Und was die Architektur in diesem Gestaltungspuzzle beitragen kann. Die Ausstellung bietet mir als Kuratorin die Möglichkeit, zum einen Perspektivenwechsel zu meinem Beruf als Architektin zu machen. Zum anderen bin ich gespannt, ob sich die Erkenntnisse in Genf auch beispielsweise auf die Arealentwicklung in Basel anwenden lassen. Auf jeden Fall bringen sich meine Kolleg:innen bei der Rapp in den vielen Gesprächen aktiv in den Diskurs mit ein. Das freut mich ungemein, wie auch, dass mich meine Vorgesetzten sehr unterstützen.