Brownfield statt Greenfield
Warum die Zukunft der Logistik auf alten Fundamenten gebaut wird?
Lange Zeit war es für Logistikunternehmen normal: Wer wachsen wollte, baute neu. Am besten auf der grünen Wiese (Greenfields) mit viel Platz und maximaler Planungsfreiheit. Doch in vielen Regionen fehlt es zunehmend an verfügbaren Flächen. Eine mögliche Antwort darauf könnte eine Brownfield-Entwicklung sein – also die Reaktivierung von Industrie- und Gewerbeflächen, die brachliegen oder untergenutzt sind. In der Logistikplanung durchaus eine interessante Lösung.
1. Der Kontext: Warum eignen sich Brownfields?
Die Flächenknappheit ist längst kein branchenspezifisches Phänomen mehr. In urbanen Regionen konkurrieren Wohnungsbau, Naturschutz, Infrastrukturprojekte und Gewerbe um jeden Quadratmeter. Zudem wird die Neuversiegelung von Flächen immer stärker hinterfragt – ökologische Anforderungen wachsen, Regulierungen nehmen zu und gesellschaftlicher Widerstand gegen Neubauten macht sich breit.
Gleichzeitig steigt der Druck auf Unternehmen, ESG-Kriterien umzusetzen. Wer heute investiert, muss dabei nicht nur ökonomisch denken, sondern auch ökologische Fussabdrücke verkleinern, soziale Auswirkungen einbeziehen und Governance-Standards nachweisen. Gerade in der Logistik, einem Sektor mit hoher Flächenintensität, wird dieser Wandel spürbar. Doch was tun, wenn Flächen knapp, Erwartungen hoch und Prozesse komplex sind? Die Antwort liegt möglicherweise – und besonders in wirtschaftlich starken Regionen – in ehemalige und brachliegendene Industrie- und Gewerbeflächen zu investieren. Diese Brownfields bergen ein enormes Potenzial.
Brownfields bieten zahlreiche Chancen für logistische Konzepte, von der Reduktion ökologischer Belastungen über die Nachverdichtung bestehender Areale bis hin zur aktiven Transformation ganzer Areale. Und oft liegen ideal an bestehende Verkehrsnetze.
Klug entwickelte Brownfield-Projekte eröffnen der Logistikbranche zahlreiche Chancen:
• Flächeneffizienz durch Nutzung vorhandener Infrastruktur, keine zusätzliche Versiegelung
• Schnellere Projektlaufzeiten auf Basis teilerschlossener Grundstücke
• Imagevorteil infolge nachhaltiger Entwicklung und Stadtreparatur
• Förderung und politische Unterstützung für Revitalisierungsprojekte
• Stärkere Integration in bestehende Verkehrsnetze
2. Der Weg zur Transformation: Bestandesaufnahme als Schlüssel
Die Grundlage jeder erfolgreichen Brownfield-Entwicklung ist die sorgfältige Analyse des IST-Zustands. Hier entscheidet sich, ob ein Projekt realistisch, wirtschaftlich und nachhaltig realisierbar ist. Zunächst ist die bauliche Substanz zu prüfen: Welche Gebäude lassen sich erhalten oder umbauen? Wie steht es um Traglasten, Dämmung oder Versorgungssysteme? Moderne Tools wie BIM-gestützte 3D-Scans helfen dabei, das Unsichtbare sichtbar zu machen und Planungssicherheit zu gewinnen.
Entscheidend ist auch der Umweltstatus: Viele Brownfields sind schadstoffbelastet – etwa durch frühere Industrieproduktionen oder unsachgemässe Entsorgungen. Eine frühzeitige Untersuchung auf Altlasten ist nicht nur rechtlich vorgeschrieben, sondern auch wirtschaftlich unerlässlich. Überraschungen im Erdreich können ganze Kalkulationen kippen, wenn sie zu spät entdeckt werden. Brownfield-Nutzung ist eine Investition mit strategischem Weitblick. Wie ist die Anbindung an Strassennetz, Häfen oder Güterverkehr? Gibt es Arbeitskräfte in der Region? Wie sieht die regionale Entwicklungsstrategie aus?
3. Vom Konzept zum Projekt: Umbau und Entwicklung
Brownfield-Entwicklungen brauchen eine flexible Herangehensweise mit dem Bestand. Nicht jeder Altbau muss abgerissen werden. Oft lohnt es sich, vorhandene Strukturen in die neue Nutzung zu integrieren. Das spart Ressourcen, reduziert Bauzeiten – und kann sogar architektonisch reizvoll sein. Besonders in urbanen Gebieten lassen sich so Landmarken schaffen, die Vergangenheit und Zukunft verbinden.
Eine modulare Planung gewinnt dabei an Bedeutung – die Anforderungen an moderne Logistikflächen wandeln sich schnell. Automatisierung, Skalierbarkeit, Digitalisierung und Nachhaltigkeit stehen im Zentrum aktueller Entwicklungen. Sie verlangen nach Nutzungskonzepten, die sich an technologische wie ökologische Rahmenbedingungen anpassen lassen. Mehrgeschossige Logistiklösungen mit automatisierten Lagerprozessen, urbane Microhubs und hybride Zonen für Light Industry sind nur einige Beispiele, wie der Bestand intelligent transformiert werden kann. Parallel dazu rücken auch E-Mobilitätsinfrastruktur, Photovoltaik-Anlagen und Gebäudebegrünung in den planerischen Fokus.
Planungswerkzeuge wie digitale Zwillinge oder BIM erlauben verschiedene Szenarien durchzuspielen – etwa in Bezug auf CO2-Ersparnis, Energieverbrauch oder Lifecycle-Kosten. Das erhöht die Planungseffizienz und macht sie auch transparenter – ein wichtiger Aspekt gegenüber Investoren.
4. Nutzungskonzepte und Arealentwicklung
Die Logistik von morgen ist vernetzt, integriert – und vielfach hybrid. Immer mehr Projekte setzen auf Mischkonzepte (Mixed-Use), bei denen Lagerung, Produktion, Büro und in manchen Fällen sogar Wohnen auf einem Areal koexistieren. Solche Konzepte können stadtbildprägend sein, vor allem, wenn sie architektonisch hochwertige Umbauten mit ESG-konformer Planung kombiniert. Das ist heute Teil einer neuen Denkkultur. Besonders spannend sind grossflächige Brownfield-Areale, auf denen über Jahre hinweg eine schrittweise Transformation möglich ist. Ein ehemaliges Werksgelände kann etappenweise zum Technologie- und Logistikcampus werden, mit eigenem Mobilitätskonzept, Nahversorgung und smarter Energieversorgung.
Besonders geeignet sind Brownfields für:
• Last-Mile-Hubs in Stadtrandlagen
• E-Commerce-Fulfillment-Center mit hoher Automatisierung
• Cross-Docking-Zentren in Nähe zu multimodalen Verkehrsknoten
Damit solche Projekte gelingen, braucht es interdisziplinäre Teams – aus Städtebau, Logistikplanung, Umwelttechnik und Kommunikation. Denn wer bestehende Strukturen neu belebt, braucht nicht nur gute Ideen, sondern auch ein Verständnis für Raum und regionale Besonderheiten.
5. Fazit: Zukunft auf vorhandenem Grund
Die Zukunft der Logistik liegt in der intelligenten Reaktivierung. Brownfield-Entwicklung ist herausfordernder als der Neubau auf der grünen Wiese – aber auch chancenreicher. Wer diesen Weg geht, leistet nicht nur einen Beitrag zur ökologischen Transformation, sondern schafft auch Raum für Innovation, Wachstum und regionale Wertschöpfung. Was es dafür braucht? Vor allem eines: den Mut, Potenziale dort zu sehen, wo andere nur Stillstand erkennen.